Edith Stehfest – Regenbogenbraut

Jeder kennt den Druck, der mal subtil und mal lautstark verlangt, dass man sich wie die meisten Menschen verhält. Dass man sich anpasst. Sich einordnet. Ob Aussehen oder Gefühle. Keine Extreme bitte. Dabei ist es egal, ob der Druck von außen kommt oder schon verinnerlicht ist. Manchmal kommt ein anderer Druck in Form von körperlicher Gewalt. Manchmal gar in Form einer Droge, die all diese Probleme scheinbar aufzulösen scheint. Manchmal ist ein Leben wie eine Grenzerfahrung und ein Kampf gegen all das Falsche, Aggressive, gegen Heuchelei und Hass. Deswegen ist es umso wichtiger, dass man nicht nachgibt und nicht aufhört, an sich selbst zu glauben. Denn man kann nur eines wirklich sein: man selbst. Auch Edith Stehfest kämpft diesen Kampf – und das nicht nur auf ihrem neuen Album „Regenbogenbraut“.

Die 1995 in Leipzig geborene Musikerin und Schauspielerin begann ihre Karriere früh u.a mit ersten Gehversuchen am Schauspielhaus Leipzig. Als sie mit 20 bereits in größeren Filmen (u.a. „Schuld“, „Sedwitz“, „Höhenangst“) mitspielte, war sie bei „Jugend musiziert“ längst Preisträgerin. Doch nichts an diesem Weg war einfach. ,,Es ist nicht immer leicht eine Regenbogenbraut zu sein, in einer Welt, welche ständig von uns verlangt in bestehende Systeme zu passen“, erklärt Edith. „Verstaubte Systeme. Ich will mit euch diesen Staub abschütteln – loslassen und tanzen!“

Die zwölf Lieder dieses außergewöhnlichen Albums sind geprägt von den intensiven Erfahrungen, die Edith und ihr Mann Eric in ihrem Leben gesammelt haben. Und von ihrem gemeinsamen Heilungsprozess. Eric Stehfest, der ihr den magischen Namen „Regenbogenbraut” schenkte, trägt auf viele Arten zu diesem Projekt bei, so haben Edith und Eric zum Beispiel alle Songtexte gemeinsam geschrieben. Seit 2015 sind sie verheiratet, zusammengeschweißt durch den Wunsch, sich von ihren Traumata zu befreien und ein Leben nach eigenen Regeln zu führen. Sie stellen sich dabei den Dämonen der Vergangenheit. Die Kraft dafür ziehen sie aus dem kreativen Akt: Inzwischen zweifache Mutter und mit ihrer jungen Familie in der Nähe von Berlin beheimatet, legte Edith 2019 unter dem Namen Lotta Laut ein erstes musikalisches Statement (das Album „Exit“) vor. Außerdem landeten die Stehfests mit dem autobiografischen Buch „Rebellen lieben laut“ (2020) einen Bestseller. „Heute sind wir ’ne Zicke und ein Proll mit zwei gesunden Kindern – bereit dafür, unseren Traum Wirklichkeit werden zu lassen“, lacht Edith.

Deswegen ist „Regenbogenbraut“ in der Lage, nicht nur Hoffnung zu schenken, sondern mit seinen dynamischen, fordernden und ziemlich gutgelaunten Beats den Glauben in die eigene Kraft zu stärken. Diese Lieder sind immer tanzbar, denn das Album ist gerade wegen seiner wichtigen Themen ein einziger großer Rave des Lebens geworden – mit einer Klanglandschaft, die sich eben so wenig wie die Protagonistin dem Druck zur Konformität beugt und sich nicht versteckt. Jeder Titel steht für eine wichtige Erkenntnis und letztlich für die Bewältigung einer Krise. Und das darf und muss man feiern. Die dynamischen, elektronischen Elemente verschmelzen mit einladenden Popmelodien und leinwandgroßen Hooks zu einem Sound, der gleichzeitig zum Tanzen, zum Selbstentdecken und zum Nachfühlen anregt. Die Realität mag hart sein – aber kann sich eh nicht unter ihr wegducken. Stell dich ihr, du bist dabei nicht alleine. Dieses Gefühl zu erzeugen, ist eines der Wunder, das „Regenbogenbraut“ vollbringt.

Schon die erste Single „Laut“ war ein mächtiges Statement für Opfer von sexualisierter Gewalt. Brutal offen erzählt Edith ihre eigene Geschichte, die einer Vergewaltigung. „Dieser Song war und ist Heilung für mich. Denn ich bin nicht allein – wir Opfer von sexueller Gewalt sind zusammen stark. Wir sind laut. Ich bin wieder aufgestanden und lernte, dass mich keine Schuld trifft und ich mich nicht mehr schämen muss, für das was mir mit 17 angetan wurde.“ Ein Song über das Zurückfinden-zu-sich-selbst, hin und her gerissen zwischen dem Wunsch zu schreien und dem Wunsch nach Stille im Kopf. Und über den hart errungenen Sieg über das Monster. Mit „Laut“ will Edith nicht nur den eigenen Befreiungsschlag zelebrieren, sondern auch inspirieren: „Was ich geschafft hab, ja, das schaffst du auch!“

Mit dieser Einstellung geht Edith all ihre Lieder an: „Ich nehme das Schlimme, was mir widerfahren ist und setze es als Stärke ein“, so die 26-Jährige. Auch im Titelsong, der während ihres Drogenentzuges entstand „in meinem alten Kinderzimmer. Am Klavier. Ein paar Tage davor nannte mein Mann Eric mich das erste Mal, seine Regenbogenbraut’“ Der Regenbogen bedeutet für Edith auch, all ihre Farben leben zu dürfen und Menschen zu lieben, egal welches Geschlecht sie haben. Und so offen wie mit ihrer Drogensucht und mit ihrer Bi-Sexualität, setzt sie sich mit allen Dingen des Seins auseinander:

„Nicht aufhören“ ist ihrem ersten Produzenten gewidmet, der an Krebs gestorben ist und dem nie der Absprung in ein gesundes Leben gelang, es ist ein liebevoller Blick zurück. Im Gegensatz dazu richtet sich „Stupid Boy“ an alle Männer, die glauben, dass Patriarchat gäbe ihnen das Recht sich zu bereichern, andere zu unterdrücken und zu benutzen. Ein Lied als Fanal gegen Sexismus und Machtmissbrauch, das gleichzeitig auf streitlustige Art Spaß macht und das eigene Empowerment feiert. Derweil soll „Sie tanzt für sich allein“ ein Geschenk sein an alle, die sich in toxischen Beziehungen verloren haben, eine Erfahrung die auch Edith gemacht hat. Sie wurde überwacht und mit Gewalt davon abgehalten, ihr Leben so leben zu dürfen, wie es sie glücklich macht: „Emotionaler Missbrauch ist unfassbar schlimm. Dieser Song soll das scheinbar Unsichtbare sichtbar machen und Dir zeigen, wie viel du Wert bist – ganz allein für Dich.“

In „Krass wie ich euch liebe“ hingegen geht es darum, dass man auch als Eltern man selbst sein darf – gerade wenn anderen die Tattoos und die Frisur gegen den Strich gehen. Letztlich zählt nur die Liebe zu den Kindern – die zu diesem Song rumtoben dürfen und sollen! Natürlich bekam auch die besondere Ehe der Stehtfests mit „Steh fest zu dir“ ihre eigene Hymne. „Eric und ich sind nicht nur Eltern – sondern auch ein Paar welches nicht vergessen hat, dass Leben zu lieben und zu feiern. High in meinen Heels – weil ich mich damit wie die First Lady fühle und eine gute Party unvergessen bleiben kann.“

So gelingt „Regenbogenbraut“ etwas ganz Außergewöhnliches, denn wirklich jedes Lied hat eine tiefe Bedeutung, eine dahinter liegende Geschichte und ist ein Statement und ein Hoffnungsgeber für alle, die in ähnlichen oder auch ganz anderen Situationen gefangen sind, und den Weg in ihr neues Leben und ihr wahres Selbst suchen. Diese Songs lassen spüren, dass niemand alleine ist, und dass wir alle eben manchmal scheitern und manchmal triumphieren. Eine Regenbogenbraut ist mutig, verletzlich und voller Liebe – und jeder kann diese Regenbogenbraut in sich selbst finden. Es gibt keinen Grund, Angst vor dem Druck der Welt zu haben. Den eigenen Extremen. So lange man fühlt und den Kampf um sich selbst nicht aufgibt.

Und jetzt: Lasst uns tanzen.

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